Men of Alaska - In deinen Armen

William & Bobby

»Ginny! Da bist du ja!« Ich lasse die Gabel mit Speck und Ei sinken und springe auf. Mein Gott, ich hatte mir solche Sorgen um sie gemacht. »Schön, dass du wieder da bist, Honey.« Ich ziehe Virginia in eine feste Umarmung. Warum sieht sie so nachdenklich aus? »Wie war’s im Busch?«, frage ich und rücke ihr einen Stuhl zurecht, da kommt auch schon Anny. »Einmal Frühstück mit allem?«, fragt sie, ihr strahlendes Lächeln im Gesicht, doch Ginny lehnt ab. »Ich hatte schon Pancakes, Anny, vielen Dank. Aber einen Kaffee würde ich gerne nehmen. Mit viel Milch und ein wenig Zucker, bitte.«
»Kommt sofort!« Anny entschwindet. Hinter die Theke, an der auch Bobby sitzt, und mein Blick bleibt eine Sekunde zu lang an seinem Rücken hängen. An den wunderschönen dunklen Locken, die ihm heute Morgen verwuschelt in alle Richtungen stehen. Wie gerne wäre ich dafür verantwortlich ... Mit einem leisen Seufzen verscheuche ich das Flattern in meinem Bauch und wende mich wieder meiner Freundin zu – irgendetwas liegt auch ihr auf dem Magen, doch im Gegensatz zu mir scheinen es definitiv keine Schmetterlinge zu sein.

»Uhhh, Pancakes«, frage ich. »Er hat für dich Frühstück gemacht? Los, erzähl! Ich habe gehört, dieser Colin soll jung und knackig sein. Ich will alle Details!« 

»Jung und knackig«, murrt sie. »Das mag ja stimmen, aber leider ist er auch eigenbrötlerisch und stur wie ein alter Maulesel.« Oha. Ja, gutes Aussehen ist nicht alles und meine Augenbrauen zucken in die Höhe, als ich an Ace denke. 

»Er wird uns nicht helfen, die Bären zu finden.« Sie seufzt und während Virginia mit zusammengekniffenen Lippen zum Fenster hinaus starrt, sinke ich gegen die Stuhllehne. Das verkompliziert unser weiteres Vorgehen natürlich. Auch wenn ich mir sicher bin, dass das nicht alles ist, was sie beschäftigt. Immerhin hat sie eine ganze Nacht im Haus eines angeblich höchst attraktiven Mannes verbracht, wenn ich Anny Glauben schenken darf. Und da ich meine kleine Virginia kenne, wage ich einen Vorstoß. »Wirklich nicht? Und hast du auch deinen ganzen Charme eingesetzt?«

»Will!« Blitze schießen über den Tisch und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ihre aufbrausende Reaktion ist ein weiteres Indiz dafür, dass das eine interessante Begegnung gewesen sein muss. 

»Ich glaube, ich habe ihn eher angezickt«, fügt sie kleinlaut hinzu und meine Mundwinkel werden noch breiter. O ja, der Bärenmann hat Eindruck hinterlassen. Eindeutig. »Charme bringt bei diesem Mann nichts, Will. Der ist dagegen resistent.« 

Arme Ginny, flüstert mein schlechtes Gewissen. Seit Tagen schon steht sie neben sich und ich weiß, dass ich daran nicht ganz unschuldig bin. Mit dieser Reise habe ich sie in ein Gefühlschaos gestürzt, aber ich bin immer noch davon überzeugt, dass es nur zu ihrem Besten ist. Ginny muss endlich rauskommen aus ihrem Schneckenhaus. Das ist im Grunde auch ihr eigener Wunsch, ich weiß das, doch sie steht sich immer selbst im Weg und darum musste ich sie diesmal schubsen. Als sich gestern Abend herausstellte, dass sie allein losgezogen war, da war mir zuerst Angst und Bange gewesen, doch irgendwie war ich auch ein wenig stolz auf sie. Endlich hatte sie sich mal etwas getraut, auch wenn ich zig Tode gestorben bin, bis endlich der Funkspruch von diesem Colin kam. Dass ihr Ausflug nicht erfolgreich war, ist natürlich blöd, aber noch will ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass diese Reise ein voller Erfolg wird. »Oh, du meinst ... ob ich es mal mit meinem Charme versuchen soll?«, frage ich. 

»Nein, mein Herz«, ihre Antwort kommt prompt. »Ich glaube nicht, dass du Colins Typ bist.« Schade eigentlich. Mein Gehirn projizierte gerade ein paar leckere, unanständige Bilder in meinem Kopf. Holzhackende Naturburschen. Nackte, verschwitzte Oberkörper. Junge Fischer, denen der Wind das Haar zerzaust ...

»Wer ist hier wessen Typ, hm? Ich will mitdiskutieren! Solche Themen gibt es bei uns eindeutig zu selten, nicht wahr, Jungs?« Anny serviert lachend den Kaffee, während der Alte an der Theke nur müde abwinkt. Bobbys Blick jedoch setzt ein schlagartiges Kribbeln in meinen Nacken. Den gesamten gestrigen Abend schon hatte ich nichts Besseres zu tun, als mich an meinem Bier festzuhalten und ihn zu beobachten. Sein Lachen, so schüchtern und doch drang es mir bis unter die Haut. Und die Art, wie er seinen schlanken Körper über den Billardtisch gebeugt hatte. Halleluja, ich hätte mich beinahe verschluckt, als er die Acht mit einem kräftigen Stoß im Loch versenkte. So wie jetzt, als er vom Barstuhl rutscht und seine dunklen Augen auf meine treffen. Er kommt herüber. Und während Anny sich einen Stuhl an unserem Tisch zurechtrückt, suche ich etwas, um meine Finger zu beschäftigen. Mein Teller ist leer und so bleibt mir nur, mich an der Lehne meines Stuhls festzuklammern. Scheiße, ich bin nervös. Mit jedem Schritt, den Bobby auf uns zukommt, verdreifacht sich mein Herzschlag. Mein Blick fliegt zu Virginia, doch sie ist mir keine Hilfe. Süffisant grinsend sitzt sie da – und ich weiß, sie hat mich durchschaut. Da bleibt Bobby direkt vor mir stehen. »Du wolltest doch wissen, wie es auf einem echten Fischkutter aussieht.« Wollte ich das? Ich schlucke. Kann sein, dass das gestern Abend mal Thema war, mir war aber nicht bewusst, dass er das mitbekommen hat. Ich nicke.

»Okay. Ich hab heute frei. Wenn du möchtest, dann komm doch mit und ich zeige dir die Albatros.« 

»Jetzt gleich?«

»Ja. Aber wenn du keine Zeit ...«

»Will hat jede Menge Zeit!«, rufe Ginny dazwischen. Verräterin! »Geh nur, ich weiß doch, wie sehr du auf Schiffe stehst. Wir reden später.« Fassungslos starre ich sie an. Ginny kann lügen. Wie gedruckt, das kleine Miststück. Touché Madame! Mit einem zuckersüßen Lächeln sitzt sie mir gegenüber, während ich mich frage, warum ich nie wieder auf ein Schiff wollte. Ach ja, ich werde seekrank. Doch als ich in Bobbys Augen blicke, die Neugier darin entdecke, eine unausgesprochene Bitte in seinen rehbraunen Iriden schwingt, werfe ich dieses Wissen über Bord. Egal. Das Schiff legt ja nicht ab, richtig? »Sehr gerne, danke!«, höre ich mich sagen. »Aber warte noch kurz, ich brauche unbedingt meine Kamera!« 

 

⁎⁎⁎

 

Der Boden schwankt unter mir, während ich Bobby über das Deck folge, und mit einem Ausfallschritt greife ich an die Rehling.

»Alles okay?« Er blickt über seine Schulter, ein freches Lächeln auf den Lippen, und sofort stehe ich wieder aufrecht. »Wir können auch wieder auf den Steg und ich erzähle dir dort etwas über das Schiff.«

»Nein, nein«, rufe ich tapfer, doch da hat er bereits umgedreht. Seine Hand legt sich auf meinen Unterarm. Die Berührung ist schlicht und unschuldig, dennoch kann ich meinen Blick nicht von seinen Fingern lösen. Meine Haut unter der Jacke wird ganz warm. 

»Komm«, sagt er leise. »Ich will dich nicht quälen.«

Mich nicht quälen? Ich sehe auf. Und als sein Daumen mit nur einer kleinen Bewegung über mich streicht, weiß ich es. Die Gewissheit schwingt zwischen uns. Ich habe es mir nicht eingebildet. Mein Wunsch ist wahr. »Das tust du nicht.« 

»Trotzdem.« Er sieht sich um, atmet tief durch. »Ich ... ich würde dich gerne etwas fragen. Aber nicht hier.«

»Okay.«

Bobby führt mich vom Schiff, den Anleger entlang. Hin und wieder wirft er mir einen flüchtigen Blick zu, während mir tausend Möglichkeiten durch den Kopf schwirren, was diese Frage sein könnte und warum er sie mir nicht einfach gestellt hat. Am Ende des Steges führt eine Treppe zum Wasser hinunter. Sanfte Wellen schwappen ans Ufer. Möwen kreisen über der Bucht und vereinzelt stiehlt sich ein Sonnenstrahl durch die graue Wolkendecke. Wir sind ungestört. Der Salty Elk liegt zwar über uns, aber der Steg verhindert, dass jemand hier herunter sehen kann. Beinahe schon aus Gewohnheit greife ich die Kamera und löse den Deckel vom Objektiv. Solch ein Panorama muss einfach festgehalten werden. Als Bobbys Rücken jedoch im Sucher auftaucht, der Wind in seinen schulterlangen Locken spielt, die unter dem Baseballcap hervorschauen, stelle ich scharf und drücke ab. Das Geräusch des Auslösers lässt ihn herumfahren. »Was tust du?«

Klick. Das nächste Bild. Überraschte Augen, eine Möwe im Sturzflug verwischt im Hintergrund. Und weiter. Klick, Klick, Klick. Ich betrachte die Ergebnisse auf dem Display, da steht er plötzlich vor mir. »Lass mal sehen.« Zweifel tritt auf seine Züge, seine Lippen kräuseln sich. »Ach ne, lösch die mal lieber.«

»Warum?« Verwundert über seine Reaktion drehe ich an dem Rädchen und scrolle erneuten durch die Bilder. »Ich finde sie wunderschön.«

»Echt?« Sein Blick von unten herauf trifft mich, halb verdeckt vom Schild der Kappe, und die Scheu darin macht etwas mit mir. Bobby ist nicht einfach nur ein hübscher junger Mann, den ich gerne ansehe. Dass er sogar sehr jung ist, dessen bin ich mir bewusst. Doch ich stelle mir vor, was aus ihm erblühen könnte, wenn man die Unschuld mit Wissen und Erfahrung nähren würde. Mit aller Vorsicht. Mit Liebe und Hingabe. Ich lasse die Kamera sinken. »Du wolltest mich etwas fragen.«

Er schluckt. Sein Adamsapfel hüpft und er vergräbt seine Hände in den Hosentaschen. Ich trete näher. »Frag, Bobby. Hab keine Angst.« Da sieht er zu mir auf. Sein Eckzahn gräbt sich in die Ecke dieser schrecklich sinnlichen Lippen. 

»Ich ... ich hab noch nie ...« 

Ich warte. Gebe ihm alle Zeit der Welt. Und genieße seinen Anblick. 

»Ich hab noch nie jemanden geküsst. Noch nie.«

Das Flattern ist zurück. Die Schar Schmetterlinge in meinem Magen schlägt wild mit den Flügeln über dieses wunderschöne Geständnis. Ich weiß, wie viel Mut dazu gehört und die zarte Röte auf seinen Wangen macht, dass ich ihn am liebsten in meine Arme ziehen würde. 

»Noch nie?«, frage ich zurück. »Auch kein Mädchen?«

»Nein.« Seine Locken fliegen, als er vehement den Kopf schüttelt. »Das wollte ich nie. Es ...« Er atmet tief durch. »Du.« 

Alles kribbelt, als sein Blick mich trifft. Das tiefe Braun mich anzieht, als wolle es mich direkt in seine Seele ziehen. »Ich?« Er nickt. Sieht zur Seite. Unsicher zuckt er mit den Schultern. Mein Gott, er ist so umwerfend. So stark in all seiner Scheu, dass ich ihn nicht länger quälen möchte. Ich hebe eine Hand und berühre sein Kinn. Fahre mit einem Finger die Kontur seines Kiefers entlang und spüre das sanfte Kratzen nachwachsender Barthaare. Bobbys Augen huschen zwischen meinen hin und her. Er wagt es kaum, zu atmen. »Willst du das wirklich?«, frage ich und werfe vorsichtshalber noch einen Blick zum Hafen. Ich will ihn nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich kenne die Leute hier zu wenig und weiß nicht, wie sie damit umgehen würden. Doch niemand ist zu sehen. 

Seine Lippen zittern, als er tief Luft holt und sein Kopf sich kaum merklich auf und ab bewegt. »Gern«, flüstere ich, denn meine Stimme ist ein wenig rau, als ich ihm das Cap abnehme, der Wind in seine Strähnen fährt und sie ihm um sein Gesicht weht. Vorsichtig streiche ich sie zurück, hinter sein Ohr. Lasse meine Finger weiter an seinem Hals hinunter gleiten und in seinen Nacken. Ich schließe die letzte Lücke, mit bebender Brust, weil ich mich selbst dem Sturm kaum erwehren kann, den diese Nähe zwischen uns durch meine Blutbahnen wirbelt. Seine Lider flattern, doch er hält meinem Blick stand. Ich atme seinen Geruch. Meer. Salz. Und die Note eines holzigen Aftershaves. Doch ich unterdrücke meine Begierde, vollkommen darauf bedacht, diesen ersten Kuss für ihn zu etwas Unvergesslichem zu machen. Stocksteif steht er vor mir. Ich lächle, meine Lippen nur noch einen Hauch von seinen entfernt. Liebkose seinen Nacken, erkunde die samtenen Ansätze seiner Locken mit meinen Fingerspitzen. Und schließe die Augen, als ich meinen Mund auf seinen senke. Weich und Rau. Zurückhaltend und neugierig. Ein paar Mal küsse ich seine einen spaltbreit geöffneten Lippen, gebe ihm die Gelegenheit, zu begreifen und zu genießen, was hier gerade geschieht. Und mit seinem Ausatmen, dem spürbaren Entweichen all der Anspannung aus seinen Schultern, lasse ich meine Zungenspitze gegen seine stoßen. 

 

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